Die Geschichte des Dorfes Groß Germersleben
(Auszug)
von Kantor Thiele
Unter franzsischer Herrschaft
Das Preußen Friedrich des Großen sank bei Jena ins Grab. Im Frieden zu Tilsit verlor er das ganze linkselbische Gebiet. Aus diesen Landesteilen bildete Napoleon das Königreich Westfalen und machte seinen Bruder Jerome zum König. Auch unser Ort wurde von Preußen getrennt und gehörte zum Königreich Westfalen. Napoleon führte in dem neu gegründeten Königreich neue Gesetze und eine neue Verwaltung ein. Das ganze Land war in Departements geteilt. Groß Germersleben gehörte zum Departement d'Elbe. An der Spitze des Elbdepartements stand der Präfekt Graf von der Schulenburg-Emden. Unter dem Präfekt standen in den Distrikten die Unterpräfekten, in dem Kanton regierte der Kanton-Maire und in jedem Ort wieder ein Orts-Maire.
Groß Germersleben war Kantonsort. Der Maire des Kantons war Herr von Kotze, sein Vertreter der Adjunkt Koch. Die ehemalige Verwaltungskörperschaft wurde von jetzt ab Munizipalrat genannt. Dazu gehörten Peter Borchardt, Kuthe, Kantor Holstein, Hugershoff, Christian Schotte, Steinbrecht und Samuel Sachse. In wichtigen Angelegenheiten wurden die Mitglieder des Munizipalrates im Gemeindekrug zusammen gerufen. Hier gab der Sekretär des Maire die neuesten Verordnungen (Gesetz-Bulletins) bekannt. Der Maire-Sekretär hieß Schaare. Er war gleichzeitig Kotzescher Gerichtsekretär. Steuern, Lasten, Abgaben, Verteilung der Vorspanngelder, Eintragung der Wehrpflichtigen in die Conscribitionslisten waren Gegenstand der Beratungen in diesen Sitzungen. Die Einladung erfolgte durch den Maire-Diener. Er hieß Bösche. Waren eilige Sachen beim Präfekten in Magdeburg zu erledigen, so wurden Boten nach dorthin geschickt. So wird berichtet, dass der Bote Strunk am 8. Dezember 1809 wegen der patriotischen Anleihe und wegen Schulsachen nach Magdeburg geschickt wurde. Er erhielt für jeden Weg nach dort 1 Taler.
Waren nun französische Verordnungen den Einwohnern bekannt zu geben, so wurden diese beim Maire und an den Kirchentüren ausgehängt. Damit jedermann auch wirklich davon Kenntnis erhielt, trugen sie meist die groß gedruckte Überschrift "Arrete", d. h. "Halt".
Lasten, Steuern usw.
Im Jahre 1808 wurde den Bauern der Gemeinde eine Kriegs-Kontribution von 800 Talern in vollrichtigen und vollgültigen Friedrichs-d'Or, das Stück zu 5 Talern, auferlegt. Da es dem damals verarmten Bauernstand nicht möglich war, eine derartige Summe in Geldwert zu zahlen, mussten sie bei dem Juden Friedmeyer in Halberstadt eine mit 6% zu verzinsende Anleihe gegen Verpfändung ihrer Ackerhöfe und Halbspännerdienste mit dem ganzen beweglichen und unbeweglichen Eigentum aufnehmen. Diese Schuld wurde in das Hypothekenbuch Egeln vor dem provisorisch bestellten Richter Fabricius eingetragen und diese Eintragung durch das Siegel des Hochadligen von Kotze'schen Gerichts bestätigt. Insgesamt waren davon 10 Bauern betroffen. Sie mussten sich für die Aufbringung der 800 Taler Kontribution, geliehen von Friedmeyer, solidarisch erklären.
Es waren folgende Bauern:
1. Der Ackermann Andreas Faese (heute Pechau) ...
2. Der Ackermann Mathias Fischer ...
3. Johann Peter Friedrich Borchardt besaß einen dienstfreien Ackerhof mit 4 Hufen als von Schenk'sches Mannlehen, mit 20 Morgen Erbzinsacker. 1 große Wiese hatte er zusammen mit dem Hof 1768 für 5700 Taler von seinem Vater gekauft, nachdem ihn dieser in 1766 vom vorigen Besitzer Melchior gekauft hatte. Lasten: 7 Groschen und 4 Pfennige Erbzins waren von 29 Morgen Acker zu entrichten und an die Domprobstei in Magdeburg zu zahlen. Dieser Acker durfte ohne Genehmigung des Erbzinsherrn nicht verkauft, vertauscht oder verpfändet werden. Seine Ehefrau Dorothee hatte 800 Taler in die Ehe gebracht, die dem Hospital in Benneckenbeck eingeräumt (verliehen) waren. 1820 Taler in Louis und Karl d'Or, 1180 Taler in Friedrichs d'Or hatte Borchardt vom Hospital Benkendorf in Hadmersleben zu 4½ % geborgt. 223 Taler, 8 Groschen Schuldzinsen hatte Amtsrichter Koch (Schulze Koch) zu fordern.
4. Samuel Sachse ...
5. Johann Heinrich Borchardt besaß einen Halbspännerhof, wovon 3 Hufen Acker, 2 Wiesen und 1 Mietholz von Schenk'schen Mannlehen waren. Die Schellerwiese, Bauerwiese, 1 Drostenwiese hatte er von seinem Vater mit dem gesamten Hof für 2000 Taler gekauft, nachdem ihn dieser von seinem Miterben erworben hatte. Lasten: 1 Groschen, 6 Pfennige Erbzins hatte er an die Familie von Kotze für eine Wiese hinter der Wehre zu zahlen. Auch ruhten auf dem Hof noch folgende Hypotheken: 400 Taler von Hofrat Faber erborgt, 100 Taler von Mansfellt in Hadmersleben geborgt, 300 Taler Gold vom Amtmann Kummer in Seehausen zu 6 % geliehen. Seine Ehefrau hatte 500 Taler mit in die Ehe gebracht.
6. Johann Christoph Kuthe besaß ½ Halbspännerhof. Die andere Hälfte gehörte Heinrich Borchardt. Dabei waren 4½ Hufe Land, 2 Wiesen, Kabeln und die Hälfte der runden Wiese. Diesen Hof hatte er von den Erben des Johann Caspar Kuthe 1778 für 3200 Taler gekauft, nachdem ihn dieser 1757 von seiner Mutter für 3200 Taler angenommen hatte. Lasten: 1 Grosche, 6 Pfennige Erbzins hatte er von der halben Wiese an die Familie von Kotze zu zahlen. 3 Hufen waren von Kotze'sches Mannlehen. Damit waren seine 4 Söhne belehnt. Jedoch war der Vater Christoph Kuthe Vasall und Lehnsträger, z. T. war der Besitz Schenk'sches Lehen.
7. Der Amtsrichter Koch, Adjunkt des Kantons-Maire, später Gemeindeschulze, besaß einen Halbspännerhof mit 2½ Hufen, 28½ Morgen Acker, 2 Wiesen im Drostenbruch, 1 Kabel, 22 Weidenflecke und 1 Kossatenhof mit1 Hufe 15 Morgen Land. Er hatte sein Eigentum 1774 für 3000 Taler von Margarethe Elisabeth Borchardt, verehelichte Luther gekauft, nachdem diese ihn 1762 von ihrer Schwester Magdalena, verehelichte Kuthe erworben hatte.
Der Hof wurde 1791 abgeschätzt; das Vieh und Feldinventar nebst Grundbesitz hatte einen Wert von 8190 Talern. Lasten: 6 Groschen Erbzins waren an die Familie von Kotze zu zahlen, 6 Groschen an Peseckendorf, 1 Groschen an das Stift Walbeck laut Erbzinsbrief vom 11.11.1800 von ½ Hufe zehntfreier Wiese. Auf jeden Todesfall musste der Lehnsträger doppelten Kanon zahlen. 3 Groschen 4 Pfennig erhielt alljährlich die Domprobstei Magdeburg. Ihr Recht darauf gründete sich auf den Erbzinsbrief von 1777. Andere Lasten waren: 15 Groschen Erbzins von 1 Wiese an von Kotze, 2 Groschen 4 Pfennige Erbzins, 3 Rauchhühner für 1 Hufe, ebenfalls an die Familie von Kotze zu zahlen. Auch auf diesem Hof ruhte eine Hypothek über 6000 Taler.
8. Wilhelm Schilt besaß einen ½ Ackerhof mit 3 Hufen 22½ Morgen Acker, Wiesen, Kabeln und Gemeindeteil. Davon waren 15 Morgen von Kotze'sches Lehen. Vorbesitzer waren Cyriakus Schilt und vor diesem Hans Zickel. An Lasten war folgendes zu tragen: An das Domkapitel in Magdeburg musste er 4 Scheffel Roggen und Weizen, an die Familie von Kotze 5 Säcke Roggen und 5 Säcke Gerste liefern. Seinen Eltern hatte er als Altenteil zu gegen: 18 Scheffel Roggen, 6 Scheffel Weizen, ¼ Rindfleisch, 1 fettes Schwein nächst dem besten, ½jähriges mageres, 1 Fuder Brennholz, 4 Schock Stammvasen, 52 Pfund Butter, 4 Schock Käse, 3 Schock Eier, Acker zu 1 Scheffel Leinenaussaat, 4 fette Gänse, 4 Hühner, 1½ Scheffel Sommersaat, ½ Scheffel Salz, 3 Maß Milch die Woche, 12 Maß zum Trank, ½ Schock Bund Roggenstroh, die kleine Stube links im Hause und den Boden über der Stube.
9. Gottlieb Köhne ...
10. Der Halbspänner Christoph Rohde hatte ein Eigentum von 1 Hufe 15 Morgen Acker, der mit 6 Groschen Erbzins von denen von Kotze belastet waren. 600 Taler ruhten außerdem als Schulden auf dem Hof. Es waren 600 Taler in Sächsischen ½-Stöcken.
Alle diese Besitzverhältnisse wurden in das Hypothekenbuch mit eingetragen. Aus diesen geht die Geschichte der größten Höfe, ihre Größe usw. hervor. Zu dieser gemeinsamen Schuld der 10 Bauern (der 800 Taler Kriegs-Kontribution) kamen aber noch die Lasten des Einzelnen, die jeder an Erbzins, Naturalabgaben und Schuldenzinsen zu leisten hatte.
1. Die Grundsteuer (5.Teil des Reinertrages von allen nutzbaren Grundstücken).
2. Die Gewerbesteuer mit Zulags-Centimen, wodurch die Gewerbefreiheit eingeführt und der alte Zunftzwang aufgehoben wurde.
3. Die Personalsteuer, die in 10 Klassen geteilt war und von allen über 16 Jahre alten Untertanen gezahlt werden musste. Die Personalsteuer wurde vom Munizipalrat unter Vorsitz des Kanton-Maire von Kotze im Gemeindekrug festgesetzt. Der Präfekt musste dazu, wie überhaupt zu allen Beschlüssen des Munizipalrates, seine Zustimmung geben. Alle Beamte, Kanton-Maire, Adjunkte, selbst die Maire-Sekretäre wurden vom König Jerome in Kassel ernannt.
4. Indirekte Steuern (Salzsteuer, Wege- und Brückengeld, Stempelgeld).
Gerichtswesen
Das von Kotze'sche Patrimonalgericht wurde durch königliche Verordnung vom 17. Februar 1808 aufgehoben. Von diesem Tage an ging die Gerichtsbarkeit auf die Distrikts- und Departementsgerichte über. Nur geringfügige Rechtsangelegenheiten wurden von dem neu gebildeten Friedensgericht oder von der Munizipalpolizei erledigt.
Leibeigenschaft
Am 4. Juli 1808 erging an die Maires der Kommunen des platten Landes des Elbdepartements eine General-verfügung, wonach die Bewohner, welche bisher ihrer vormaligen Gutsherrschaft zum Hand- und Spanndienst verpflichtet gewesen, in der Meinung stehe, dass dieser Dienst durch das königliche Dekret aufgehoben sei. Da jedoch nur die Dienste abgeschafft waren, die in Folge der Leibeigenschaft oder auf bloßer Willkür der Dienst-berechtigten beruhten, so waren auch unter französischer Herrschaft die Gutsherren berechtigt, von den dienst-pflichtigen Untertanen die "Burgfeste und Hofe mit Hand und Gespann" zu fordern, sofern darüber "Prästations-Register, Urbarien, Judikate, Observanz" und sonstige Urkunden bestehen.
Passzwang
Am 23. Oktober 1808 wurde im Kanton Groß Germersleben der Passzwang eingeführt. Jeder, der in eine andere Kommune (Dorf, Stadt, usw.) reiste, musste sich vom Maire einen Pass ausstellen lassen. Wer ohne Pass angetroffen wurde, wurde arretiert. Wer ins Ausland (also in rechtselbische Gebiet) reiste, musste sogar einen Pass von der Präfektur haben. Der Pass kostete 6 Pfennig, Arme erhielten ihn frei.
Öffentliche Sicherheit
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung gab es auch in Groß Germersleben militärische Posten. Sobald der Posten den Maire um Hilfe bat, hatte dieser zur Abwendung der Gefahr oder zur Verhaftung des Schuldigen, wenn die allgemeinen Kräfte der Behörde nicht ausreichten, die erforderliche Zahl der Kommunemitglieder aufzubieten.
Vorspanndienste
Je nach Größe des Besitzes hatten die Bauern "Kriegsfuhren" für die Besatzungsarmee zu leisten. Am 20. Dezember 1808 musste Ackermann Fähse, von 8 Hufen Besitzer, mit 2 Pferden in Croppenstedt erscheinen, um "ihre Majestät" nach Egeln zu fahren. Für die Leistung von 3 Tagen erhielt er 4 Taler Entschädigung. Am 23. Oktober 1808 hatte er 4 Vorspannpferde zu stellen, um Kanonen von Egeln nach Halberstadt zu fahren. Ackermann Fischer fuhr am 17. und 18. Mai Pulver von Egeln nach Magdeburg und erhielt 10 Taler.
Da in Egeln ein Depot für Munition, Lebensmittel und Proviant war, hatten die Bauern dauernd Fuhren zu leis-ten, um Heu, Brot, Fleisch, ja sogar die Kriegssteuern zu befördern.
1813 - 1815
Auf die Kunde von der Vernichtung der "Großen Armee" in Russland, begann auch das preußische Volk das Joch des Zwingherrn abzuschütteln. Im Frühjahr 1813 erhob sich das Volk. Auch in unserem Dorfe zeigte sich der Opfermut fürs Vaterland. Viele eilten zu den Fahnen als Freiwillige. Wenn auch nicht alle Teilnehmer mehr bekannt sind, so seien folgende genannt, die aus unserer Gemeinde an dem Feldzug 1813 - 1815 teilnahmen:
1. Christoph Sterling, Kossath
2. - 12. ...
13. Andreas Braumann, Kossath
14. - 15. ...
Es sind nur diejenigen genannt, die 1849 noch am Leben waren. Man befreite sie in diesem Jahre von der Klassensteuer. Sicher sind es viel mehr gewesen.
Gefallen sind in dem Befreiungskriege folgende Krieger:
1. Konrad Altmann
2. Christoph Buntz
Ihre Namen sind auf der Gedenktafel der Kirche zu lesen.
Nach der Befreiung wurden am 1 Januar 1815 die preußischen Gesetze und die preußische Verfassung wieder eingeführt. Unter Glockengeläut und mit Gottesdienst feierte man in der Kirche die Befreiung von der Fremdherrschaft und die Wiedervereinigung mit dem Vaterlande.
Als die Truppen nach Frankreich zurückkehrten, hatte das Dorf wieder oft Einquartierung. Diesmal waren es aber "vaterländische Truppen", die mit Jubel und Dank begrüßt wurden. Vom Ende 1814 bis 1817 lag fast regelmäßig Militär im Dorfe in Quartier, so vom 13. bis 19. Oktober 1815 Thüringer Landwehr und 1817 die Batterie Nr. 18. Die Truppen wurden verpflegt und die Bauern mussten Heu, Stroh und Hafer liefern, zum Teil an das Magazin in Wanzleben. Die Einquartierung hatte im Armenhaus die Wachstube. Zur Heizung derselben, lieferten die Bauern Stroh.
E N D E
Anmerkung:
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